... und werfen dann einen Blick auf meine Wurzeln




Meine Geburt dauerte etwa 72 Stunden, danach gab´s 3 Jahre Baumrinde zu Essen und schwupps - mußte ich auch schon im Bergwerk meines Großvaters arbeiten. Waren halt noch andere Zeiten damals. Trotzdem würde ich mich niemals beschweren - im Gegenteil. Ich hatte wunderbare Feunde zu dieser Zeit. Okay, sie haben häufig gewechselt, aber was hatten Grubenpferde schon für ne Lebenserwartung?

Um in den engen und niedrigen Stollen arbeiten zu können, war es wichtig, so lange wie möglich klein zu bleiben. Also wurde ich jeden Abend vor dem Schlafengehen in ein kleine Kiste gesperrt. Dies verhinderte ein Wachstum in die Höhe und so wurde ich mit den Jahren auf eine stollenkompatible Größe von 130 x 80 x 80 cm gebracht. Oh ja, ich hör sie schon schreien, die Leute vom Kinderschutzbund. Was sie allerdings nicht wissen, ist das das ganze auch seine Vorteile hat. Grubenponies etwa, stören sich überhaupt nicht an einem 13jährigen, irgendwie monolithisch aussehenden Jungen.

Natürlich will ich nicht verschweigen, daß es auch negative Momente gegeben hat. Zum Beispiel wenn mal wieder das Holz knapp war. So wurde ich regelmäßig aufgrund meiner damals schon relativ hohen Knickfestigkeit zum Strebausbau eingeladen. Beziehungsweise, der jeweilige Steiger trieb mich mit einem schweren Holzhammer direkt nach der Sprengung unter das hängende Gestein. So lange, bis wieder Geld für Stempel aus Fichte da war. Manchmal hat es drei Wochen gedauert - aber ich hatte doch immer das Gefühl gebraucht zu werden. Mal ehrlich, wer hat das heutzutage noch?

Eigentlich ein ruhiges und beschauliches Leben. Bis zu dieser verdammten Explosion. Es passierte beim Schichtwechsel, plötzlich und ohne vorherige Anzeichen. Das letzte, an was ich mich erinnern kann, ist, daß eine ungeheure Menge von Dreck und Holzsplittern auf mich zuflog. Dann wurde es dunkel. Als ich wieder zu mir kam, stellte ich fest, daß ich meine quaderförmige Gestalt verloren hatte und ich somit die Arbeit in den engen und niedrigen Stollen ein für alle Mal vergessen konnte.

Ich sah plötzlich aus, wie jeder andere 16jährige auch. Nur dreckiger. Um der ganzen Scheiße noch eins draufzusetzen, erschraken sogar die Grubenponies vor mir. Mann, was hatten wir nicht alles zusammen erlebt. Und jetzt stand ich vor dem Nichts. Ein paar Wochen lang durfte ich trotz meiner Größe noch mit in die Grube einfahren. Als Gasmelder. Geld für Kanarienvögel war wieder mal aus. Es war eine recht verantwortungsvolle Aufgabe und die Vorbereitungen bei Schichtbeginn dementsprechend akribisch.

Mit einem Seil um die Füße wurde ich auf einen kleinen Vorsprung in einem der Hauptschächte plaziert und dann hieß es warten. In dem Moment, in dem der Methananteil der Luft 15% überschritt, wurde ich blau im Gesicht und fiel kopfüber in den Schacht. Kurz bevor das Seil sich spannte, prallte ich auf eine frei hängende Metallplatte und durch den lauten glockenartigen Ton wurden alle gewarnt. Einfach und effizient. Das andere Ende des Seils war am letztstehenden Grubenpferd befestigt und so wurde auch ich rausgezogen.

Manchmal jedenfalls. Das Seil war genau 200 m lang. Wenn das Pferd aber nicht genug Angst hatte oder nicht genug getrieben wurde und japsend direkt vor dem Stolleneingang sitzenblieb, hing ich noch 50 m tief kopfüber im Schacht. Das war verdammt übel. Richtig lustig hingegen war es, wenn ich auf meinem Vorsprung vor Müdigkeit eingeschlafen bin. Meistens wachte ich noch vor dem Aufschlag auf und freute mich, daß ich beim Rausziehen wenigstens keine Erstickungsanfälle erleiden mußte.

Dumm nur, daß der Steiger draußen meine Gesichtsfarbe kontrollierte. Wenn ich nicht wenigstens eine leichte Blaufärbung zeigte, wußte er, daß ich wieder eingepennt war. Es würde mir am nötigen Ernst fehlen, schrie er mich an. Die Kumpel saßen schweigend im Gras und sahen in alle möglichen Richtungen. Ich fand das ungerecht und sagte ihm, daß ich, wenn es wirklich ernst war, immer runtergefallen bin. Der Boss schwieg. Aber alle anderen sahen mich an und nickten zustimmend.

Ja, es war verdammt wichtig akzeptiert zu werden in dieser wilden Truppe. Nach einem Ausflug in die Montanindustrie in Remscheid (der Firma von Max und Reinhard Mannesmann - den Erfindern des nahtlosen Rohres) landete ich zwischendurch bei den Langers in Solingen. Hier bastelten wir so lange in harmonischer Runde Zylinderrohre, bis wir marktführend in Deutschland waren. Nach dem die Runde dann doch nicht so harmonisch war, wie ich dachte - ging ich einfach wieder zurück nach Remscheid. Das Arbeitsumfeld in beiden Firmen war und ist dasselbe wie im Bergwerk meines Großvaters.

Nur die Ponies fehlen mir.



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