Vorurteile




Es war so einer von diesen Tagen. Einer von diesen Tagen wo man beim Aufstehen schon genau weiß, daß es besser ist liegen zu bleiben - und sich Abends auf die Schulter klopfen kann weil man wieder mal recht hatte.

Nach eineinhalb Stunden Stau auf der Autobahn habe ich es das 5. mal diese Woche nicht geschafft noch vor Ladenschluß in einen Supermarkt zu kommen. Aber was solls. Gibt ja Tankstellen. Heute ist Freitag und Aral dran. Ich fahre auf den Hof und steige aus meinem Auto. Das T-Shirt klebt an meinem schmerzenden Rücken. Neun Uhr Abends und immer noch 30 Grad. Schlurfenden Schrittes gehe ich in den Laden. Mir tut alles weh. Einkaufen und ab auf´s Sofa. Mehr will ich nicht für heute.

Weia. Da ist sie. Die Abteilung Fertignahrung. Ich fühl mich in diesem Bereich immer so, wie die Tiere, die da jetzt in Dosen vor mir liegen, ihren letzten Augenblick vor der Schlachtung erlebt haben müssen. Verunsichert und irgendwie gescheitert.

Oh Gott, bloß nicht die Pizza. Kommt wie Schüppe in die Fresse - dafür aber mit tollem Aufdruck "Schmeckt wie beim Italiener". Der Italiener, der es wagt so eine Pizza in seinem Restaurant zu servieren, würde spätestens nach einer Woche mit Betonpantoffeln im Kemnader See enden. Und hier, igitt, die Frühlingsrollen. In etwa das grauenhafteste, was mein Ofen jemals aufwärmen mußte. Noch heute überlege ich manchmal aus was die Füllung eigentlich bestanden hat. Alienscheiße, denke ich. Nichts von diesem Planeten jedenfalls.

Ravioli Pikant, auch kalt zu essen. Bratkartoffeln und Rührei in Tüten, Shrimps in Aspik. Örks. Warum steh ich hier eigentlich? Hunger hab ich schon länger nicht mehr. Aber - irgendwas muß rein. Ich nehme eine Packung Brot und ne Dose Fleischsalat und lege beides nach dem bei Esso gelernten Blick auf das Verfallsdatum wieder zurück. Der Salat ist ne Woche drüber, das Brot mehr Waffe als Nahrung. Vielleicht sollte ich damit ein frisches Tier im Wald erschlagen.

Ah, da hat sich was versteckt. "Geschnetzeltes nach Brauer Art". Was soll´s. Hallo Abendessen. Wenn ich davon sterben sollte, wird Maggi verklagt. Soviel ist mal sicher. Da sich das letztendlich keine Firma leisten kann, habe ich also eine reelle Überlebenschance. Jetzt noch drei Dosen Bier, ab zur Kasse und schnell raus hier. Millionen Leute machen sowas jeden Abend ...

Auf dem Weg zurück zum Auto rutscht mir eine Dose aus der Hand und verschwindet unter einem Van mit Familie drin und Vater draußen an der Tanköffnung. Die Fenster des Wagens sind runtergekurbelt. Ich gehe in Richtung des tankenden Vaters und lege die Reste meines Abendessens auf die Tanksäule.

"Mahlzeit. Ich muß mal eben unter ihr Auto kriechen, da liegen etwas mehr als 30% meiner Biervorräte"

Er schielt auf die restlichen zwei Kannen, die auf dem tiefgefrorenen Geschnetzelten liegen.

"Bei drei vorausgesetzten Dosen macht das dann aber 33,3333333 Prozent. Hahaha! Um genau zu sein. Hahahahaha!"

Aua. Was ein Blödmann. Ich bücke mich und taste in der engen Gasse zwischen Tanksäule und Auto nach der Dose. Es ist verdammt eng und ich kann das Mistding nicht finden. Mittlerweile auf den Knien liegend, taste ich tiefer unter den Wagen. Der Schweiß tropft mir von der Nasenspitze auf den nach Benzin stinkenden öligen Beton. Es wird irgendwie immer heißer hier draußen.

"Du Mama, das was der dahingelegt hat, sieht genauso aus wie das was wir heute mittag hatten. Hast du das auch von hier, Mama?"

Eins von diesen Bilderbuchrotzlöffeln vom Rücksitz. "Pascal, ich bitte dich. Als wenn ich euch jemals so ein Zeug vorsetzen würde!"

Das Gesicht zwischen Trittbrett des Wagens und Betonsockel der Zapfsäule gequetscht sehe ich einen Zipfel meiner Dose. Ich greife danach und verbrenne mir den Arm an dem etwa 2000 Grad heißen Auspuff. "Sieh mal Pascal, es gibt Leute, die können einfach nicht kochen. Denen reicht dann eben sowas. Sowas und Dosenbier. Gesund ist das nicht, glaub´ mir."

Es riecht nach versengten Haaren, ich reiße meinen Arm zurück und der Musikknochen kollidiert mit der Betonkante. Ein gequälter Laut dringt tief aus meinem Innersten und die Dose rollt auf die andere Wagenseite. "Es ist unglaublich wichtig sich gesund zu ernähren. Denkt ihr denn, ich steh´ zum Spaß jeden Tag so lange in der Küche?"

Beim Aufstehen denke ich an das 5-Gänge Menü, das ich meinem Ex-Weibchen kreiert habe, als noch kein Ex davorstand, an ihr Gesicht beim Essen und das, was danach passierte. Mit einem Kloß im Hals und sehr vorsichtig schnappe ich mir die Sachen von der Tanksäule und gehe auf der anderen Wagenseite in die Knie, um diese verdammte dritte Dose aufzuheben.

Der blankpolierte schwarze Lack des Wagens spiegelt das, nein, mein Elend wieder. Ich habe einen riesigen Schweißfleck auf der Brust, eine Haarsträhne klebt in meinem nassen Gesicht und erst nachdem ich sie mit einer lässigen Bewegung wieder hinters Ohr befördert habe, sehe ich das Öl an meiner Hand. Und den schwarzen Streifen quer über meiner Stirn und Wange. Die graue Strähne fällt im selben Moment wieder zurück und nimmt mir endgültig die Sicht. "Ich will immer immer ganz ganz ganz gesundes Essen kriegen, Mama" meldet sich die Kleine vom Rücksitz.

Wutentbrannt stehe ich auf und funkele in den Fond des Wagens. Pascal starrt mich nur an, während das Rotzlöffelmädchen sich leise quiekend ein Stück weiter in ihren Sitz drückt. Entjungfert, denke ich. Ich bin das erste Monster das du siehst. Und ich esse Fertignahrung. Und kleine Mädchen. Fertigmädchen mit Bandnudeln und Babymuscheln. Ich gehe.

Drei Schritte vom Van entfernt, höre ich Pascal. "Mama, machst du uns morgen wieder diesen leckeren Salat mit Pimienkörnern?"
"Pinienkerne, Pascal, es heißt Pinienkerne ! Wie oft soll ich dir das noch sagen?!"

Schnaufend lasse mich in meinen tiefergelegten Civic fallen und kühle die Verbrennung auf dem Arm mit Dose Nummer zwei. Ich schalte die Zündung ein und höre die Reste von Bachs Brandenburgischem Konzert Nr. 4 in G-Dur. Diese Monstermama hat Vorurteile. Die setzt glatt voraus, daß ich nicht kochen kann. Deshalb kaufe ich diesen Scheißfraß an Tankstellen. Blöde Kuh. Daß ich keine Zeit zum Kochen habe - woher soll eine wie die das wissen. Hängt den ganzen Tag zu Hause und darf ihre Monsterkinder füttern und umhegen, während ich mir 12 Stunden oder länger den Arsch aufreiße. Monsterpapa ist mit Sicherheit rechtschutzversicherter Finanzbeamter und Ehrenmitglied im Verein für sparsame und doch penible Autowäsche e.V.

Mit durchdrehenden Reifen und voll aufgedrehtem Bach fahre ich in Höhe Van und muß bremsen weil jemand blind in die Bucht mit den Zapfsäulen fährt. Monstermamas Blick und meiner treffen sich. So siehst du also aus. Du siehst genau so aus, als ob du keine Soufflés machen kannst. Und alles nach den Soufflés passiert mit Sicherheit im Dunkeln. Zweimal jedenfalls.

"He, kannst du Soufflés machen oder weißt du, wie man echte Lasagne kocht? Oder Stielmus !?"

Keine Antwort. Sie starrt mich nur an. Wahrscheinlich weiß sie es nicht. Und irgendwie hab ich es gewußt.



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